Im Spiegel des Zorns
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Kapitel 11 – Licht und Schatten
Layna saß in der noch ausreichend wärmenden Abendsonne vor dem Tor des Tempels von Elitawana auf einem Vorsprung und bestickte ein Tuch mit einem komplexen Muster silbriger, grauer und cremefarbener Seide. Keiner sprach sie an oder näherte sich ihr. Jeder im Tempel wusste, dass sie nur dann stickte, wenn ihre Gedanken, Bilder und Visionen sie derartig quälten, dass sie etwas brauchte, worauf sie sich fokussieren konnte. Eigentlich – so hatte sie oft genug beteuert – hasste sie Sticken.
Wieder und wieder durchstach die Nadel das Tuch und Stich um Stich formte sich das Muster, zeigte neue Linien und Verknüpfungen.
Feine Schweißperlen standen ihr auf der Stirn und ihr Blick war angestrengt. Da zuckte sie plötzlich zusammen, als habe sie sich in den Finger gestochen und ihr Blick wandte sich nach Süden in Richtung Osarien.
„Nein.. das hat sie nicht..“ Unglaube lag in ihren Zügen.
In einiger Entfernung stand Siliras, der Priester des Grünen Drachen mit seinen drei Akolyten und gebot mit einem mal allen dreien, zu schweigen, obgleich sie sich nur in sehr gedämpfter Lautstärke unterhalten hatten. Sorgenvoll betrachtete er Laynas Gesicht und schien zu versuchen, ihre Gedanken zu erraten.
Layna hingegen nahm ihn nicht wahr. Ihr Blick heftete am Horizont und ihre Lippen wurden trocken. „Das Sterbliche darf nicht zur Unsterblichkeit gelangen..“, murmelte sie.. „ ... das tiefste Dunkel wird es wittern und sich zu eigen machen..“. Nun spiegelte sich in ihren Augen eine uralte Ahnung, eine Erinnerung, die nicht ihre war. Tief in sich, eingebrannt wie eine Mahnung, sah sie etwas, das so böse und vernichtend war, dass die Welt es vergessen hatte. Doch es war irgendwo. Und es wartete.
Lauriel wusste nicht, wie lange sie dort gekniet hatte. Ihre Augen und Wangen brannten und sie fühlte sich müde und leer. Was hatte sie nur getan?
Jetzt, wo sein Leben außer Gefahr war und sie klarer denken konnte, wurde ihr die Tragweite ihres
Handelns erst wirklich bewusst. So tief die Verzweiflung sie zerrissen hatte, all die Träume und Hoffnungen, Gedanken und Gefühle, als sie die Laternen am nächtlichen Himmel davonschweben sah, so ernüchtert war sie nach der Flut an Tränen, die sich die Bahn gebrochen hatten.
Sie hatte einen Teil ihrer unsterblichen Seele einer sterblichen Seele eingeflochten.
Lauriel schluckte trocken.
Langsam erhob sie sich und trat leise in die Höhle, um den schlafenden Mann zu betrachten, der ihr Stück für Stück den Verstand zu rauben schien.
Sie ließ sich neben ihm auf den Knien nieder und versuchte anhand seiner Gesichtszüge zu erraten, was er gerade träumte. Er wirkte entspannt, friedlich auf eine gewisse Weise und doch ging sein Atem für einen Schlafenden etwas zu rasch.
War es die Folge der Verletzung? Hatte er Albträume? Die Entspannung wich langsam, machte Raum für etwas anderes. Seine Lippen waren geöffnet und er schien etwas im Traum zu sagen.
Kaum merklich berührte Lauriel seine Hand und schloss die Augen. Es fiel ihr nicht schwer, den Weg in seinen Traum zu finden und..
.. rasch zog sie ihre Hand zurück und schluckte. Sie erhob sich und hastete zum Höhleneingang wo sie die eisige Nachtluft auf ihren Zügen dankbar begrüßte. Mit diesen Bildern hatte sie nicht gerechnet und sie konnte sie auch nicht einfach wieder loswerden.
Sie spürte, wie ihr eigener Atem rascher ging und konzentrierte sich. Es würde diese Art von Nähe zwischen ihnen beiden nicht geben. Wütend stieß sie mit der Zehenspitze einen Stein über einen Felsvorsprung und ihr Blick funkelte in die Nacht hinaus.
Was war aus ihr geworden in diesem Land? Wo war die Frau, die sie immer gewesen war? Wo war ihre Stärke und Unabhängigkeit? Wie konnte es sein, dass die Traumbilder eines Mannes sie so sehr aus der Fassung brachten?
Ihre Lippen wurden schmal. Mit einem Mal erfüllte sie ein unendlicher Tatendrang. Irgendetwas – sie musste sich ablenken, etwas tun, die Bilder wieder aus ihren Gedanken vertreiben, ehe sie ihre Mühsam errichteten Grenzen einreißen ließ.
Entschlossen hastete sie zu ihrem Pferd und zog ein einfaches, beigebraunes Reisegewand aus einer der Taschen. Sie hatte genug von schimmernden Edelsteinen und funkelnden Träumen, genug von all den Gefühlen, die sie aushöhlten.
Sie stopfte das kostbar bestickte Seidenkleid, das vom Blut des Jägers klebte, achtlos in eine der Satteltaschen und schlüpfte in die schlichten Leinenkleider. Dann machte sie sich auf den Weg, zurück in die Stadt.
Ihr Pferd und all ihre Habseligkeiten ließ sie zurück.
Ein Teil von ihr wollte fliehen, fort von dem, was hier mit ihr geschah, von der Verletzbarkeit, die sie hier spürte und von der Unberechenbarkeit des Schicksals. Der andere Teil von ihr wollte gleich auf dem Absatz umdrehen, sich in die Höhle zurückschleichen und sich zu ihm legen, seine Wärme spüren, seine Haut und.. Lauriel schüttelte sich.
Die Stadt würde ihre Gedanken klären und wenn sie dann immer noch das Land verlassen wollte, würde sie ihr geliebtes Pferd und ihre Habseligkeiten zurücklassen.
Ihre Schritte waren rasch und schließlich begann sie das letzte Stück bis zur Stadtmauer zu laufen. Die Tore waren, wie immer um diese späte Stunde, lange nach Mitternacht, verschlossen und die Wachen fragten: „Wer da?“
Lauriel atmete einmal tief ein und wieder aus, eine heilsame Wut war tief in ihrem Inneren entbrannt. Sie ging langsam auf die Wachen zu und in ihren Augen begann sich rotes Feuer zu spiegeln.
„Lauriel, Heerführerin des Roten, Shadia des Sultans, …“
Weiter kam sie nicht. Die Wachen hatten das Tor bereits geöffnet und neigten den Kopf als sie an ihnen vorbei in die Stadt ging.
Es war schon spät und die Stadt um so vieles ruhiger als am Tage. Doch still war es nicht. Immer noch wurde in einzelnen Gruppen gefeiert auf den Plätzen. Lagerfeuer waren entzündet, Musik erklang leise und Stimmen mischten sich, erzählend von den aufregenden Ereignissen des Tages. Aus den Teehäusern hörte man Gesang und Stimmen und es gab auch um diese Zeit immer noch einzelne Händler, in deren Fenstern Licht brannte. Die Farbe und Anzahl der Lichter in den Fenstern waren ein verschlüsselter Hinweis darauf, was es dort zu kaufen gab. Seien es Tränke, die den Geist beflügelten, Gifte, Kräuter oder auch einfach das Vergnügen eines schönen Körpers.
Lauriel ließ all dies ungeachtet hinter sich.
Sie wusste, wohin sie gehen wollte und so lenkten ihre Schritte sie in einen Teil der Stadt, den sie mit Alkanas nicht besucht hatte.
Die Soldatenunterkünfte waren weniger prächtig, als viele andere Teile der Stadt. Hier war Pragmatismus wichtiger als Prunk. Verglichen jedoch mit den Unterkünften fallaconischer Krieger, glichen die Gebäude und Gärten einem kleinen Palast.
Lauriel schmunzelte.
Genau das war es, was sie gerade brauchte. Am Rande der Unterkünfte gab es mehrere Tavernen.
Den Einwohnern Al’Bajaars waren sie nicht zugänglich. Sie war ausschließlich für die Soldaten des Sultans gedacht. Die Unterkünfte bildeten ein Dreieck vom Palast ausgehend bis zur Stadtmauer, wie ein eigener Stadtteil. Wohnbereiche, Ställe, Übungsplätze, Arenen – all das gab es hier. Je höher man im Rang aufgestiegen war, desto näher lebte man am Palast und desto prunkvoller war die Ausstattung. Lauriel hingegen hatte eine Taverne nahe der Stadtmauer aufgesucht.
Hier aßen, tranken und feierten die Soldaten, wenn es ihnen erlaubt war.
Von drinnen klang Lachen und Musik.
Sie nickte leicht und ging auf die Eingangstür zu. Zwei Männer standen davor. Noch während sie sich ihnen näherte, fuhr sich Lauriel durch die wild um ihren Kopf hängenden Haare und zwängte sie in einen unordentlichen Knoten.
„Wer da?“
Wieder die Frage. Wieder Feuer in ihren Augen, doch diesmal musste Lauriel nicht antworten.
Der andere Mann raunte dem ersten zu: „Sie darf rein.“
Und an Lauriel gewandt nickte er leicht mit dem Kopf: „Lauriel, schön euch zu sehen.“
Ein Stich traf sie unerwartet. Wäre sie in dieser Nacht vielleicht erkannt worden, wenn sie das Fest besucht hätten? Sie hätte nur einmal den Schleier von ihrem Gesicht nehmen müssen um etwas zu essen oder zu trinken. Doch sie wischte den Gedanken fort und betrat den Raum.
Es roch nach süßem Shisha-Tabak, nach schwerem Wein, würzigem Bier und geräuchertem Fleisch. Lauriel ließ sich auf einen Stuhl fallen und beobachtete die Soldaten, die die Feierlichkeiten des Tages nachhallen ließen.
Sicherlich hatte es jede Menge Wein, Bier und Speisen gegeben an diesem besonderen Tag und alle wirkten ausgelassen und fröhlich.
Ob sie ahnten, wie nahe sie einem Krieg mit Fallacon gestanden hatten?
Ein junger Mann, klein, etwas schmächtig in einer Pumphose aus Leinen und einer einfachen Weste hastete zu ihr und fragte sie, was sie trinken wolle.
Lauriel kaute einen Augenblick auf ihrer Unterlippe und bestellte schließlich Aljema, dazu etwas Schinken und Brot. Sie merkte, dass sie Hunger hatte und versuchte, sich daran zu erinnern, wann sie zuletzt etwas gegessen hatte.
Als beides vor sie gestellt wurde, trank sie zunächst einen tiefen Schluck aus dem Krug. Aljema war ein Getränk, das aus Buttermilch und einer Art Schnaps gemischt wurde, der aus Kräutern gebrannt war. Es war herb und etwas bitter und genau das, was sie gerade wollte.
Kauend auf einem Stück Fleisch lehnte sie sich zurück und beobachtete die Männer und Frauen, alle gut trainiert und ernst zu nehmende Gegner im Kampf.
Sie war gerne hier, da die Soldaten zwar dem Sultan und damit dem goldenen Drachen folgten, dem Roten aber durchaus Tribut zollten, denn er war der Drache des Kampfes und des Krieges. Immer wieder sah sie hier oder da die Menschen die Köpfe zusammenstecken und zu ihr herüber schielen, aber mehr geschah nicht. Man ließ sie in Ruhe und sie war dankbar dafür.
Wie sollte es nun weitergehen?
Ihre Gedanken drehten sich im Kreis, sobald sie versuchte, eine Lösung für ihre Situation zu finden.
Rasch leerte sie den Krug und bestellte noch einen.
Es war einer der wenigen Augenblicke in ihrem bisherigen Leben, in denen sie sich wünschte, dass Alkohol bei ihr die gleiche berauschende Wirkung hätte, wie bei Menschen. Eine Nacht lang alles vergessen – ein wundervoller Gedanken.
Aber es geschah nicht mehr, als dass sie ein leichtes Schwirren im Kopf bemerkte.
Sie seufzte.
Vernünftig wäre gewesen, zu gehen und das nächste Schiff nach Rilphajen zu nehmen.
Wie tief hatte all das, was hier in der Wüste geschehen war, ihren Verstand bereits verklärt, dass sie einen Teil ihrer Seele mit der eines Sterblichen verknüpft hatte.
Ja, sein Leben währte weit länger als das eines Menschen, er war ein König des Grünen Drachen. Wer weiß, was dieser für seine Könige für Wege vorgesehen hatte, doch unsterblich war seine Seele nicht.
Bis heute Nacht.
Sie stieß die Luft langsam zwischen den Zähnen aus und schloss die Augen.
Ihre Gedanken wanderten zur Höhle und zu dem Mann, der dort schlief. Wieder tauchten die Bilder vor ihrem geistigen Auge auf, die sie in seinem Traum gesehen hatte. Es hatte so greifbar gewirkt. Für einen Moment, glaubte sie, ihn riechen zu können, seine Haut zu spüren, seinen Blick, der jedes Versprechen fortwischte, das er ihr gegeben hatte.
Rasch öffnete sie die Augen wieder.
Noch ein Krug Aljema.
Wie gerne hätte sie sich einfach betrunken. Sie wollte vergessen – alles, was gerade durch ihren Kopf brannte einfach für eine Nacht ertränken. Es blieb ihr verwehrt.
Langsam gingen die Kämpfer in ihre Quartiere, einer nach dem anderen.
Am längsten hielt sich eine Gruppe, die die halbe Nacht mit Würfelspielen verbracht hatte und sich davon offensichtlich nicht losreißen konnte oder wollte.
Es war beruhigend, das wiederkehrende Klappern der Würfel auf dem Holztisch.
Lauriel war nicht müde. Sie war es gewohnt, mehrere Nächte nicht zu schlafen, wenn es sein musste und ein Blick durch das ihr am nächsten gelegene Fenster zeigte ihr, dass der Tag sich näherte.
Der Himmel hatte sich grau gefärbt und sie erhob sich, zahlte und verließ die Taverne.
Wut glomm in ihr.
Die Frage, die seit siebzehn Jahren schmerzhaft in ihr brannte, zerriss sie heute mehr als an jedem anderen Tag zuvor.
Warum war der Rote Drache, ihr Gefährte, einfach verschwunden?
Wie schon zahllose Male in den Jahren zuvor überlegte sie, ob es irgendetwas gegeben haben könnte, womit sie ihn verärgert hatte, aber sie fand nichts.
Sie war sein gewesen, lange, ehe sie ihn das erste Mal sah und umso mehr, als er sich ihr zu erkennen gab. Das, was sie teilten, war an jedem neuen Tag ein Geschenk für sie gewesen, im letzten, wie auch in diesem Zeitalter. Und dann war Stille eingekehrt. In den ersten Jahren hatte sie geduldig gewartet. Drachen hatten ein anderes Verständnis von Zeit und sie hatte so viel Zeit, wie sie wollte. Doch irgendwann war die Geduld gewichen und hatte Raum gemacht – erst für Fragen, dann für Zweifel. So oft hatte sie nach ihm gerufen. So oft war sie durch die Wälder Fallacons gestreift, bis zur Küste und hatte seinen Namen in die Nacht geschrien. Doch der Himmel war dunkel geblieben. Mehr denn je spürte Lauriel in diesem Moment den Schmerz des Wartens, Hoffens und Zweifelns. Und sie spürte den Wunsch, für jemanden mehr zu sein, als die Heerführerin, die Rote Harfe oder welchen Titel auch immer man ihr gegeben hatte.
An Alkanas Seite erfüllte sich dieser Wunsch und doch..
Sie schnaubte und fasste sich an die Stirn.
Wie konnten Gedanken sich nur so unendlich im Kreis drehen? Wie hielten Menschen es aus, wenn sie sich in ihren endlosen Geschichten aus Liebe und Schmerz verstrickten?
Sie hastete in Richtung des Stadttores. Es hatte so oder so keinen Sinn.
Vor der Stadt war vermutlich immer noch sein Pferd angebunden. Sie würde es nehmen und zum Hafen reiten, ohne anzuhalten und vergessen, was hier mitten in der Wüste geschehen war.
Ihre Schritte führten sie über einen der Marktplätze, wo die Händler bereits ihre Stände eröffneten und die ersten Menschen schon ihre Einkäufe tätigten. Lauriel lächelte grimmig. Es war typisch für diese Stadt. Sie schlief beinahe nie und nirgendwo begann das Geschäftsleben bereits mit den ersten Sonnenstrahlen – nur hier.
Sie ging rasch, sah sich wenig um und doch blieb ihr Blick plötzlich an einem Stand hängen und sie blieb abrupt stehen.
Dort hing eine Tunika aus grüner Seide, schlicht, nur am Halsausschnitt und an den Ärmeln waren einige Blätter eingestickt und mit winzigen Achatsplittern verziert.
Ihre Gedanken wanderten zu ihm und wie er dort in der Höhle lag als sie gegangen war. Er hatte seine Tunika zerrissen, um einen Verband für seine schweren Verletzungen zu improvisieren. Wenn er in die Stadt zurückkehren wollte, musste er dies halbbekleidet oder in Frauenkleidern aus ihren Satteltaschen tun.
Wieder traf sie ein tiefer Stich ins Herz.
Was würde geschehen, wenn er erwachte und sie war fort? Vermutlich würde er warten, weil er ihr vertraute, dass sie wiederkäme – wer weiß, wie lange. Und dann? Irgendwann würde er realisieren, dass sie nicht zurückkäme. Vielleicht würde er sich auch sorgen, dass ihr etwas passiert wäre, weil er sich nicht vorstellen konnte, dass sie ihn einfach verlassen hatte.
Sie sah seine Züge vor sich, sah, wie sich Hoffnung in Sorge und Sorge in Schmerz verwandelte und die Kehle wurde ihr eng. Der Gedanke erschien ihr unerträglich.
„Gefällt sie euch?“
Lauriel zuckte zusammen. So tief in Gedanken versunken hatte sie nicht bemerkt, dass der Verkäufer sich ihr genähert hatte.
„Ehm..“.. sie schluckte und versuchte sich zu sortieren. Verflogen waren Zorn, Zuversicht und Härte. In ihren Gedanken brannte das Bild seines Gesichts in all den Facetten der Gefühle, mit denen sie ihn hatte zurücklassen wollen.
„Ich nehme die Tunika.. und den Korb dort.“
Ihre Stimme war leise. Ein Teil von ihr gab sich geschlagen.
Mit überschwänglicher Freundlichkeit überreichte der Verkäufer ihr beides und war überrascht, als sie nicht bereit war, zu feilschen sondern ihm einfach den verlangten Betrag in die Hand drückte.
Lauriel sah sich um. Alles schien ihr mit einem mal fremd, blass und unwirklich zu sein.
Langsam ging sie von Stand zu Stand und erwarb Brot, Datteln, Rauchfleisch, Oliven, Gebäck, Käse und Nüsse.
Am Rande des Marktplatzes sah sie noch einmal zurück, als würde sie im langsam anwachsenden Menschengetümmel die Antwort auf all ihre Fragen finden.
Dann ging sie zum Südtor, vor dem noch immer das Pferd von Alkanas angebunden war und löste den Knoten.
Langsam ging sie, das Pferd führend anstatt es zu reiten, den Weg zu den Höhlen hinauf, wo Alkanas vermutlich noch schlief, nachdem er so schwer verletzt worden und seine Seele zu einem Teil unsterblich gemacht worden war.
Ein dunkler Schatten lag wie eine Ahnung auf Lauriels Blick, doch je näher sie der Höhle kam, desto deutlicher spielte ein Lächeln um ihre Lippen.
Layna hatte sich in die Bibliothek in Elitawana zurückgezogen und studierte die ältesten Schriftrollen, die dort zu finden waren. Überlieferungen aus dem jungen ersten Zeitalter, Geschichten über schattenhafte Krieger, schwarz verhüllt mit rotem Tuch über dem Gesicht.
Sie las von gnadenlosen Kämpfen, zahllosen Toten und unendlichem Schmerz. Aus vielen Ländern gab es Hinweise auf diese Ereignisse, doch niemand sprach heute mehr davon. Aber warum? Und in all den Schriften, die sie fand, schien es, als seien Teile entfernt worden? Es fehlte ein Zusammenhang.
Doch in ihren Visionen sah sie einen Schatten, der dunkler war, als alles, was sie bisher je hatte ahnen können.
Ein Symbol fand sich auf einer der Schriften, welches sie noch nie zuvor wahrgenommen hatte – und welches sie auch nicht zuordnen konnte. Ineinander greifende Linien und Punkte, die für sie keinen Sinn ergaben.
Wieder wandte sie den Blick nach Süden, diesmal durch eines der Fenster und leise flüsterte sie: „Du bist nicht die einzige Schachfigur in diesem Spiel.“
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Kapitel 10 – Flüche und Bräuche
Als sie schließlich bei dem Höhlensystem angekommen war, spürte sie, dass er da war noch ehe sie ihn sah.
Sie sprang hektisch von ihrer Stute, die sie auf dem Weg hierher gnadenlos zu Höchstleistungen angetrieben hatte und rannte zu ihm.
Er saß gebeugt auf einem Felsvorsprung, den Speer in der Hand, den Oberkörper nur von einem Fell bedeckt und aus dem improvisierten Verband, den er trug, sickerte Blut, das sich auf dem Boden unter ihm bereits gesammelt hatte. Seine Haut war blass, seine Lippen farblos. Schatten malten sich in seinen Zügen ab, die nichts Gutes verhießen.
Ihre Augen flammten vor Zorn und Sorge.
„Was um alles in der Welt hast du dir dabei eigentlich gedacht?“ Ihre Stimme peitschte durch die Luft.
„Ich habe dich gefragt, ob etwas nicht in Ordnung ist und du? Warum belügst du mich? Warum riskierst du es, hier alleine in der Wüste zu sterben, anstatt mir zu sagen, dass du verwundet bist?“ Ihr Herz raste und er hob nur langsam den Blick zu ihr hinauf. Sein Blick war glasig.
Er schien etwas sagen zu wollen, doch noch ehe er die Lippen geöffnet hatte, kippte er zur Seite weg und sie konnte ihn gerade noch auffangen, ehe sein Kopf gegen den Felsen seitlich von ihm schlug. Mit einem Mal war aus Sorge und hilfloser Wut tiefe, verzehrende Angst geworden. Ihre Stimme wurde auf einen Schlag wieder sanft, während sie seinen Kopf ruhig in ihrem Schoß bettete und zu ihm hinab sah. Vorsichtig hauchte sie einen Kuss auf seine Stirn und fragte ganz leise:
„Vertraust du mir..?“
Sie schloss die Augen und wartete auf das, was er anworten würde.
„Nafsi yangu maua..“ seine Stimme war dünn und erschöpft „.. ich vertraue dir..“ Wieder ein Stich in ihr Herz.
Sie war sein Vertrauen nicht wert und dieser Gedanke trieb ihr für einen Moment die Tränen in die Augen.
Schweigend sah sie auf diesen Mann hinab, der größte Jäger, den sein Weg je hervorgebracht hatte. Hier lag er in ihren Armen und war dem Tode näher als dem Leben und ahnte nicht einmal, dass sie für ihn mehr Feind hätte sein müssen, als die beiden, die er in Al’Bajaar getötet hatte.
Dieser Gedanke schmerzte sie so sehr, dass sie nicht verhindern konnte, dass sich einige Tränen vom Kranz ihrer Wimpern lösten und den Weg über ihre Wangen fanden. Doch dann schüttelte sie trotzig den Kopf. Es war nicht die Zeit für Tränen und Trauer – es war Zeit zu handeln.
„Ich werde dir helfen“, flüsterte sie und löste den Verband.
Was sie sah, stimmte sie nicht zuversichtlicher.
Die Waffen der Arkanta waren tückisch. Seit Generationen suchten sie Wege, um leise und ungesehen töten zu können. Sie waren ein elitärer, eigensinniger Geheimbund, von dem nur die wenigsten in Fallacon wussten, dass er überhaupt existierte – und selbst von denen, die einmal von den Arkanta gehört hatten, wusste kaum einer, wie tödlich ihre Klingen tatsächlich waren. Sanft und sacht strichen ihre Hände über die Linien seines Oberkörpers bis hinab zu den beiden Wunden, die man ihm geschlagen hatte, während sich das mit Edelsteinen besetzte Kleid, das sie trug, tiefrot von seinem Blut färbte.
„Nuru yangu..“ .. sie hauchte die Worte nur und die Sorge in ihren Zügen wurde immer tiefer. Sie spürte deutlich die dunkle Ahnung des Todes, die die Waffen der Attentäter in ihm zurückgelassen hatten – ein Fluch, den sie verabscheute, so, wie sie den größten Teil der Magie verabscheute, die in Fallacon gewirkt wurde. Mit geschlossenen Augen lauschte sie tief in ihn hinein und ihre dunkelsten Befürchtungen bestätigten sich. Der Fluch fraß sich tief und tiefer in seine Seele und hatte schon so viel davon zerrissen, dass es unmöglich war, ihn zu heilen. Weder die Magie ihrer Lieder, mit denen sie ein Seelenlied und somit auch den Körper, wieder zusammensetzen konnte, noch das Feuer des Roten, das ihr die Macht verlieh, Wunden, Gift, Magie und Flüche aus einem Körper zu brennen, würden hier noch helfen.
Verzweifelt sah sie sich um – was sollte sie tun?
Hastig gruben sich ihre Zähne in ihre Unterlippe, als sie plötzlich eine Idee hatte.
„..alles wird gut..“ flüsterte sie. Sie sah ihn an und erkannte den tiefen Schatten in seinen Augen ehe seine Lider sich flatternd schlossen und sein Atem flacher wurde. Der Fluch der Arkanta verletzte die Seele, so, wie die Klinge das Fleisch.
So war es möglich, dass das Blut in diesen Wunden nicht gerinnen konnte und der Verwundete von einer tiefen Schwäche und furchtbaren Schmerzen heimgesucht wurde.
Sie hatte andere unter Verletzungen wie diesen verzweifelt um ihr Leben flehen sehen, gepeinigt von Schmerz, den sie selbst auf der Schwelle des Todes nicht beherrschen konnten. Wie viel kostete es ihn, dies nicht zu zeigen?
Sie atmete tief durch und lauschte in sich hinein.
Eine Seele war für sie sichtbar in Form eines Liedes. Sie hörte den Klang, die Melodie, die im Laufe des Lebens immer mehr an Gestalt gewann, geformt von den Dingen, die man erlebte und die einen prägten. Sie sah es, wie ein feines Gespinst zahlloser leuchtender Linien, die ineinander verwoben und miteinander verbunden waren.
Und tief in sich sah sie, was sie selbst ausmachte, hörte den Klang und sah das Licht, das auf so viele Arten in vielen Farben schimmerte.
Langsam nahm sie eine dieser Linien, schweigend, stumm, nur fokussiert auf den Klang, die Hände auf seine Wunde gepresst um zu verhindern, dass er noch mehr Blut verlor. Dieses Licht, diesen hauchdünnen Faden ihrer Seele, wob sie in die seine, verschloss damit den Schaden, den die von dunkler Magie getränkte Klinge der Arkanta in seiner Seele angerichtet hatte. Stück für Stück setzte sie wieder zusammen, was zusammen gehörte und fühlte, wie der Klang seiner Seele wieder zu einem Lied wurde.
Es war anstrengend und sie fühlte, wie sich Schweißperlen auf ihrer Stirn bildeten. Ein nicht unerheblicher Teil ihrer Kraft floss in diesem Augenblick zu ihm, um ihn am Leben zu halten. Sie atmete, konzentrierte sich, lauschte und nickte schließlich kaum merklich.
So, wie ein winziger Teil seiner Seele in ihr leuchtete, verwurzelt durch die Luishja, so erstrahlte nun ein kleiner Teil von ihr in ihm. Und sie, deren Wunden sich schneller schlossen, als die von Menschen, konnte ihm davon etwas geben, ließ diese Macht in ihm wirken und fühlte, wie auch die Wunden auf seinem Körper sich langsam schlossen während ihr der Schweiß in die Augen lief.
„Nuru yangu..“.. flüsterte sie erneut und sanft in sein Ohr, hauchte einen Kuss auf seine Lippen und sackte dann schließlich zur Seite.
Was sie getan hatte, war so anstrengend gewesen, dass es ihr für einige Augenblicke das Bewusstsein raubte.
Als sie die Augen wieder öffnete, war sie nicht sicher, wie viel Zeit vergangen war. Sie streckte sich und merkte, dass sie eine ganze Weile so auf dem harten Fels gelegen haben musste. Rasch suchte ihr Blick nach ihm. Sein Atem ging ruhig und dennoch wirkte er blass. Erschöpft stemmte sie ihre Fäuste gegen den Fels um sich aufzurichten. Ihr Schädel pochte schmerzhaft und vor Wut über seinen Fehler knirschte Sie immer noch mit den Zähnen.
"Es hätte unsere Nacht werden sollen, eine Festnacht wie keine andere. Ich wollte dir die Bräuche und Traditionen zeigen" sie schüttelte mit dem Kopf. "Eine Erinnerung die uns niemand hätte nehmen können, doch es ist mir anscheinend verwehrt...". Sie war wütend und verletzt, fühlte sich vom Schicksal einmal mehr betrogen um etwas, was ihr wichtig gewesen war.
Plötzlich öffnete er die Augen und langsam kehrte das tiefe Blau des Meeres in sie zurück. "Du bist hier Nafsi yangu maua" seine Stimme wurde wieder fester. "Ich habe von dir geträumt, von dir und mir auf der Hochzeit."
Lauriel schüttelte erneut den Kopf und Ihre Stimme peitschte wieder durch die Luft, "Was hast du dir dabei gedacht? Willst du hier sterben? Warum hast du nicht geantwortet als Ich dich gefragt habe? Warum?"
Alkanas setzte sich langsam, immer noch die Seite stützend hin. Er sagte nichts, er sah sie einfach nur an und versank in Ihren Augen. "Willst du mir nicht antworten?" immer noch flammte Ihr Zorn hoch. Was er Ihr entgegnete entwaffnete Sie, "Dann wäre ich in deinen Armen gestorben Nuru ya macho yangu."
Er zog Sie zu sich und küsste Sie. Anfangs war Ihr Widerstand noch stark und heftig, doch je länger der Kuss dauerte, desto geringer wurde er. Als sich Ihre Lippen von den Seinen lösten, hauchte er nur "Asante nyota yangu."
Sie suchten sich einen geschüzten Platz in den Höhlen und er bereitete ein Nachtlager zu, es verwunderte Ihn, dass sich seine Wunden so schnell geschlossen hatten und dennoch fragte er nicht nach.
"Ich habe eine Bitte nyota yangu" sagte er in Ihre Richtung und erneut schnürte es Ihr den Hals zu. War es nicht genug für heute? Sie fühlte sich zu müde, um seine Fragen zu beantworten ohne zu lügen oder sich zu verraten.
"Leg dich zu mir und erzähle mir von den Bräuchen und Traditionen Al´Bajaars, in deinem Schoß möchte ich davon träumen, was uns heute entgangen ist... ... Verzeih mir, ich wollte nicht, dass das
Fest für dich so endet nafsi yangu maua."
Sie sah ihn an und ihr Blick wurde warm und ruhig.
Der Zorn war verflogen – so schnell, wie vielleicht noch nie zuvor in ihrem Leben und ein sanftes Lächeln legte sich über ihre Lippen.
„Wenn das dein Wunsch ist, nuru yangu.. komm..“
Und sie nahm seine Hand um ihn zu ihrem Lager zu ziehen, wo sie sich im Schneidersitz niederließ, so dass er sich so hinlegen konnte, dass sein Kopf tatsächlich in ihrem Schoß lag.
Sanft strich sie durch sein Haar und spielte mit den einzelnen Haarsträhnen während sie leise zu erzählen begann.
„Es gibt so viele Bräuche.. wo soll ich nur beginnen..“
Ihre Fingerspitzen strichen über seine Stirn und wieder zurück in sein Haar.
„Das Fest wird viele Wochen lang vorbereitet und beginnt mit dem Vorabend der eigentlichen Hochzeit.
An jenem Abend wird die Braut von ihren Bediensteten gebadet und mit Düften besprüht. Sie wird in kostbare, bunte Seide gehüllt und ihre Hände und Arme werden in aufwändigen Mustern bemalt mit einer Paste aus getrockneten Pflanzen und Tee – diese Farbe bleibt, auch nachdem man sie abgewaschen hat, viele Tage lang erhalten.
Die ganze Nacht über wird sie bewacht und es werden stündlich wechselnd mit Yasmin und Amber beträufelte Tücher über ihr ausgebreitet, damit ihr Duft zum nächsten Tag angenehm ist.“ Sie lächelte kurz, als sie an ihre eigene Vorliebe für Yasmin dachte.
„Am nächsten Tag erhält der Bräutigam dann sein Hochzeitsgewand von den Männern seiner Familie als Geschenk und muss sich ankleiden.
Er muss an jenem Tag noch einmal zum Vater der Braut und mit ihm sprechen und dieses Gespräch ist ein langes, denn der Vater der Braut muss sich ein letztes Mal absichern, dass der Mann, der ausgesucht wurde, auch der richtige für seine Tochter ist.“ Sie seufzte leise und schloss die Augen.
„Eigentlich ist es ja gar nicht das, was wir gesehen hätten, nuru yangu…“
Sie sah zu ihm herab und strich sanft über die Linien seines Gesichtes, sah auf seine entspannt geschlossenen Augen und lächelte.
„Was ich dir zeigen wollte, waren die Feierlichkeiten der Stadt zu diesem Anlass..“ Ihre Stimme wurde sanfter und bekam einen beinahe verträumten Klang.
„Die Menschen tanzen – überall in der Stadt sind Musik und Tanz. Dabei ist es nicht die Art Tanz, die man in anderen Gebieten dieser Welt kennt – es ist ein.. emotionaler und sinnlicher Tanz, den es nur hier in Osarien gibt… Überall werden Speisen gereicht und süße Weine, die mit Honig und Muskat gewürzt sind.
Es werden kleine Kuchen verteilt, die vom Hofe des Sultans stammen und in jedem hundertsten findet sich eine kleine Kostbarkeit – ein Stein, eine Perle – irgendetwas Wertvolles.
Die Menschen hier glauben, dass diese Nächte – Nächte in denen ein Mitglied der Sultans-Familie heiratet – von den Drachen gesegnete Nächte sind, in denen alles geschehen kann und Wünsche in
Erfüllung gehen. Darum ist alles schlechte, jedwede Kriegshandlung oder Blutvergießen in diesen Nächten strengstens verboten.“
Ein dunkler Schatten huschte kurz über ihre Augen, als sie über ihren Besuch am Hof des Sultans nachdachte, rasch jedoch wischte sie dies beiseite und ließ das Lächeln auf ihre Lippen zurückkehren.
„Es sind Bedienstete des Palastes in den Straßen unterwegs und verteilen bunte Bänder, die sie den Leuten um Hals und Handgelenke legen. Sie sind wunderschön, aus bestickter Seide und mit Perlen besetzt.
Und wenn sie auf ein Paar treffen, binden sie dessen Hände zusammen, auf dass das Glück sie niemals verlassen möge.
Wenn das Paar im Palast sich das Versprechen für die Ewigkeit gegeben hat, lassen sie von den Palastmauern aus bunte Vögel in den Himmel steigen, die Körbe voller Blumen tragen, die schließlich auf die Menschen herabregnen und dann…“
Ein leichter Schimmer legte sich über ihre Augen, ehe sie weitersprach. Es schmerzte sie, all das vor ihrem geistigen Auge zu sehen und zu wissen, dass sie es versäumt hatten.. und noch mehr schmerzte sie das Wissen, dass sie niemals ein solches Fest feiern würde – nicht als die, die sie war. Plötzlich fühlte sich die Unsterblichkeit ihrer Seele wie eine entsetzlich schwere Last an, unter der sie zu ersticken drohte und sie schluckte, versuchend, weiterzusprechen.
„… dann.. zu später Stunde in der Nacht werden kleine Laternen entzündet. Sie sind aus Papier und man schreibt seine Wünsche darauf und wenn man die Kerze entzündet, werden diese Laternen in den Himmel hinaufgetragen.. sie schweben einfach davon.. und man sagt.. dass die Wünsche, die darauf geschrieben stehen.. irgendwann in Erfüllung gehen…“
Lauriel wandte ihr Gesicht dem Höhleneingang und der dahinter liegenden Nacht zu und als habe sie es gespürt, sah man weit in der Ferne über der Stadt tanzende Lichter in den Himmel steigen. Sie schluckte und fragte sich, welchen Wunsch sie zu den Sternen geschickt hätte und - welchen er.
Sie sah zu ihm herab, wie er dort lag, die Augen geschlossen und ruhig atmend, sah seine, in diesem Moment so friedlich wirkenden Züge, die ihr längst vertraut vorkamen. Vermutlich war er eingeschlafen, was nicht verwunderlich war, nach dem furchtbaren Blutverlust, den er erlitten hatte. Vorsichtig wand sie sich unter ihm hervor, saß noch eine Weile neben dem Lager und sah ihn an – dann ging sie vor die Höhle und ließ sich dort auf die Knie sinken.
Von der Stadt her tanzten die Lichter im leichten Wind heran. Hoch und immer höher schwebten sie dem Himmel entgegen und sie starrte hinauf, als könnte sie ihre eigenen Wünsche dort verankern, in den zahllosen Hoffnungen und Träumen, die gerade ihren Weg durch die Nacht zogen.
Sie sah hinauf und hatte das Gefühl, sie würde zerreißen unter dem Wunsch, glücklich sein zu dürfen und fast erschrocken über sich selbst verbarg sie schließlich das Gesicht in ihren Händen und begann hier, wo niemand sie sah außer der Nacht, den Sternen und den stillen Sehnsüchten der Bewohner Al’Bajaars, bitterlich zu weinen.
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Kapitel 9 – Buße wider Willen
Sie hatte lange dort gestanden, ihm nachgesehen und versucht zu begreifen, was hier geschehen war.
All der Glanz und das glitzernde Meer beinahe schon kindlicher Vorfreude, das diese Nacht für sie geborgen hatte, waren zu Staub zerfallen und verweht.
Was war hier wirklich geschehen? Warum war der Sultan zornig genug, um an diesem besonderen Tag die Nashagar durch die Straßen Al’Bajaars zu schicken?
Ihre Augen wurden schmaler und ein leichter, roter Schimmer schien sich tief darin zu spiegeln.
Sie wusste nicht, auf wen ihre Wut in diesem Moment größer war – auf jene, die Alkanas diese Verletzung, die er haben musste, zugefügt hatten oder auf ihn, der der Meinung war, es wäre sinnvoll, dies vor ihr zu verheimlichen?
Was hatte er denn vor? Blutend alleine in der Wüste wartend, dass sie käme? Oder war es der Moment des Abschieds gewesen und er war auf dem Weg in seine Heimat?
Sie schüttelte den Kopf. Wusste sie auch nicht, was für eine Verletzung man ihm zugefügt hatte, so hatte sie doch deutlich gespürt, wie sehr er davon geschwächt wurde. Er würde nicht einmal den halben Weg durch die Wüste überstehen.
Ihre Brauen zogen sich zusammen und sie sah einen der Nashagar an sich vorbeilaufen, den sie hart am Arm packte, so dass er stehen blieb.
Tiefschwarze Augen funkelten sie an und kaum einen Wimpernschlag später hatte sie die Klinge eines Krummsäbels an ihrem Hals, was ihre Wut nicht milderte.
Wenig eingeschüchtert starrte sie den Mann an, von dem sie wusste, dass er darin ausgebildet war, schnell und Zögern zu töten.
„Du wirst deine Waffe augenblicklich senken und dann bringst du mich zum Palast.“
Ihre Worte duldeten nicht die Spur eines Widerspruchs und in den Augen des Mannes glomm etwas auf. Er musterte ihre Züge, als kämen sie ihm bekannt vor. Leicht neigte er den Kopf zur Seite. Die Nashagar konnten nicht sprechen, das wusste sie, doch wusste sie auch, dass diese kleine Geste bedeutete, dass er ihren Namen wissen wollte. Sie atmete einmal tief ein und aus eh sie erwiderte:
„Der, dem dein Leben gehört, gab mir den Namen Shadia.“
Augenblicklich war die Klinge von ihrem Hals verschwunden und ohne eine weitere Frage zu stellen, ging er voraus und sie folgte ihm zum Palast.
Als sie die riesigen Hallen betraten, die behängt waren von aufwändigen Bildern, Stickereien, Gold und Edelsteinen, seufzte sie leise.
Dies war tatsächlich der letzte Ort, den sie heute hatte besuchen wollen.
Ein Mann kam zu ihr und bot ihr Wasser, welches mit Wein gemischt war und sie nahm einige Schlucke davon – es galt als ausgesprochen unhöflich, am Hofe des Sultans auszuschlagen, was man angeboten bekam.
Dann wartete sie eine Weile, bis sich am Ende der riesigen Eingangshalle, die von zahllosen hohen Säulen getragen wurde, eine Tür öffnete und eine Frau herausschritt, gehüllt in Gold, Seide und Geschmeide.
Sie war komplett verschleiert und ihre dunklen, von kleinen Falten umrahmten Augen sprachen von einem langen Leben, das sie bereits geführt hatte, erfüllt von Strenge und Härte, aber auch von Weisheit.
Ruhig, elegant und ohne einen Anflug von Eile kam sie auf sie zu und fragte schließlich: „Ist dies ein Besuch der Freundschaft oder ein Besuch des Landes Fallacon?“ Lauriel sah sie an und überlegte.
„Es gab hier, wie mir scheint, einen Zwischenfall in der Stadt. Ich vermute, dass Streiter meines Drachen damit zu tun haben und darum kam ich her, um dies herauszufinden und mich in aller Form zu entschuldigen, falls dem so sein sollte – denn es ist vollkommen unangemessen, damit das Hochzeitsfest eurer Enkelin zu stören.“ Sie atmete tief durch.
Es war leicht zu erahnen, WER Grund hatte, Alkanas etwas antun zu wollen und sie war sich vollkommen im Klaren darüber, dass der Sultan toben würde über eine derartige Respektlosigkeit am Hochzeitstag seiner Tochter.
Eine offen ausgesprochene Entschuldigung war der sicherste Weg, an alle Informationen zu gelangen, die sie haben wollte und Schlimmeres zu verhindern.
Die Frau in den goldenen Gewändern musterte sie eine Weile und bat sie dann wortlos, ihr zu folgen. Sie schritten durch lange Gänge und Räume, Hallen und Korridore, einer schöner und aufwändiger geschmückt als der nächste.
Schließlich gelangten sie in einen Raum, in dem zwei Männer aufgebahrt lagen.
„Es geschah nicht allzu weit von hier.“
Die Mutter des Sultans musterte sie mit strengem Blick.
„Es ist absolut inakzeptabel, dass Blut an einem Tag wie diesem vergossen wird – in unserem Glauben ist dies ein schlechtes Omen für die Bindung, die an jenem Tag besiegelt werden soll.“ Ihre Stimme klang hart und streng, gewohnt, schwerwiegende Entscheidungen zu treffen.
Lauriel trat zu den beiden Männern und betrachtete sie, ohne sich irgendetwas anmerken zu lassen. Dann schob sie bei beiden den Ärmel ihrer Gewänder hinauf und entblößte damit die Innenseite ihrer Handgelenke.
Dunkle Linien waren mit Tinte in die Haut gestochen und zeigten zwei gekreuzte Klingen in einem Flammenkreis.
Sie seufztet leise.
„Es sind Streiter der Arkanta – eine Art Geheimbund, der sich in Fallacon vor langer Zeit formierte, um …“ sie zögerte kurz, nach den richtigen Worten suchend „.. um ihre eigene Weltanschauung zu vertreten und gezielt Anschläge auf einzelne Personen auszuführen, wenn sie es für nötig halten. Sie scheren sich nicht um Bräche und Traditionen und sie haben auch sonst nicht viel Gefühl für Anstand“
Ihr Blick brannte noch mehr, als er es zuvor bereits getan hatte.
Die Arkanta waren ihr schon mehr als einmal mit ihrer Starrsinnigkeit in die Quere gekommen und hatten Strategien, die sie erarbeitet hatte, einfach über den Haufen geworfen, weil sie ihr eigenes Ziel über das der anderen stellten.
Nichtsdestotrotz waren es Rote.
Lauriel schloss kurz die Augen, berührte die Stirn der beiden und sprach einen Roten Segen aus, der ihr nur zäh über die Lippen kam.
Tausende von Gedanken schwirrten durch ihren Kopf und dennoch musste sie hier und jetzt klar denken.
„Führt mich zum Sultan und ich werde der Etikette folgend meine Entschuldigung aussprechen als amtshöchste Vertreterin des Roten in dieser Stadt.“ Ihre Zähne mahlten aufeinander.
Ihr Zorn verlangte Blut und Kampf, stattdessen musste sie hier den Namen Fallacons reinwaschen, was so ziemlich das Letzte war, was sie in dieser Nacht gedacht hatte zu tun.
Die Mutter des Sultans nickte und ging erneut voraus während Lauriel ihr mit düsterem Blick folgte.
Jeder Raum, den sie nun betraten war noch prunkvoller als der davor und als sie schließlich im Innersten des Palastes den Thronsaal erreichten, hatte Lauriel das Gefühl, sie müsse die Augen verschließen vor all dem Schimmer und Glitzer an den Wänden, auf dem Boden und an der Decke. Auf einem hohen Thron in der Mitte des Raumes, saß der Sultan, gekleidet in Gold und Seide. Neben ihm saß sein ältester Sohn und Thronfolger und ihm zu Füßen seine drei noch nicht verheirateten Töchter, alle verschleiert.
Die anderen Söhne, die dem Sultan geboren wurden, durften den Thronsaal niemals betreten, damit sie gar nicht erst Zeuge des Glanzes und der Macht wurden, die sie, als Zweit- und Drittgeborene niemals haben würden, insofern dem Erstgeborenen nichts zustieß. Für sie gab es einen eigenen Teil im Palast, wo sie, versteckt von der Außenwelt, aufwuchsen. Ein goldener Käfig, der die Erbfolge sicherte, für den Fall, dass Krankheit oder Schicksal, das Leben des eigentlichen Thronfolgers verwirkten. „Shadia..“
Der Sultan kannte sie gut. Vor einigen Jahren hatte sie seinen Erstgeborenen aus einem Fieber gerettet, bei dem keiner der Weisen dieses Landes mehr einen Rat wusste. Seither ließ er nach ihr schicken, wenn eines seiner Kinder erkrankt war, da er ihr vertraute. Aus diesem Grunde stand er ihr wohlgesonnen gegenüber, was lange nicht bedeutete, dass er alles akzeptierte, was Fallacon in diesem Land treiben mochte, auch nicht, nachdem sie erst kürzlich auf sein Bitten nach Osarien gekommen war und all das, was sie mehr denn je zu einem Blatt im Wind des Schicksals machte, seinen Lauf nahm.
Seine Stimme klang zornig, dunkel und andersartig durch die Art, wie er das r rollte und die einzelnen
Silben betonte.
„.. wie kann Fallacon es wagen, Blut zu vergießen an diesem heiligen Tag? Euer Krieg ist nicht unser
Krieg, Shadia, also macht ihn auch nicht dazu, ansonsten wird dies Konsequenzen tragen.“
Lauriel war sich im Klaren darüber, dass die Handlung der Arkanta mehr als nur unüberlegt gewesen war. Sie konnten damit einen zwei-Fronten-Krieg auslösen, doch stellten sie ihre Ziele weit genug über alles andere, dass diese Konsequenzen nicht beachtet wurden und noch weniger fielen Bräuche und Traditionen jener Länder, die sie zu ihrem persönlichen Kriegsschauplatz machten, ins Gewicht. Wie viele fruchtlose Diskussionen sie bereits mit ihrem Oberhaupt geführt hatte – sie konnte sich nicht mehr daran erinnern. In diesem Moment schwor sie sich jedoch, dass die nächste Debatte mit einer Klinge in seiner Kehle enden würde, wenn er nicht einsehen konnte, wie vollkommen unvernünftig das Verhalten seiner Männer hier gewesen war.
Sie knirschte kurz mit den Zähnen und ließ sich schließlich auf die Knie nieder und berührte mit der Stirn den Boden vor den Stufen hinauf zum Thron des Sultans.
Sie wusste, dass es keinen Weg gab, außer einer formellen Entschuldigung – nicht am Hochzeitstag seiner Tochter, und so verharrte sie in dieser Position, brennend vor Zorn und Wut.
„Das Land Fallacon entschuldigt sich für die unaussprechlichen Unannehmlichkeiten, die es dem Dritten Königshaus zu Osarien bereitet hat. Das Land Fallacon sieht seinen Fehler und wird eine angemessene Gabe zum Tragen der entstandenen Schäden übergeben sowie eine angemessene
Gabe als Brautgeschenk für die Tochter des Sultans.“
Sie verharrte und wartete – innerlich Gift und Galle spuckend und zahlreiche Todesarten für den Kopf der Arkanta ersinnend.
Sie musste warten – warten, bis der Sultan etwas sagte. Mit der Zeit, die er wartete, wog er die Schwere des Vergehens ab, das sich in seinen Augen zugetragen hatte und so ließ er sie warten – wie lange – sie wusste es nicht.
Ihr Sinn wanderte in die Wüste.
Wo war er? Lebte er überhaupt noch?
Sie wollte zu ihm und seine Wunden versorgen, ehe er daran sterben konnte. Tiefe Sorge mischte sich mit Wut. Warum musste er sich auch derartig kleiden?
Ja, es war die Kleidung, die zu ihm gehörte, die zu ihm passte und sie hatte ihn gerne so gesehen.. aber war ihm denn nicht klar gewesen, dass er unglaublich auffallen musste? Hatte er den Krieg so weit verdrängt, dass er sich derartig zur Zielscheibe in einer Stadt wie dieser machte?
Sie hätte sich niemals nach Al’Bajaar zurückgewagt mit ihm, wenn nicht dieses Fest gewesen wäre, an dem die Straßen so voller Menschen waren, dass man in der Masse untertauchen konnte. Sie wusste, dass es ein unglaubliches Vergehen war, an diesem Tage Blut zu vergießen und wenn sie sich nur ein bisschen angepasst hätten, wäre dies eine Nacht voller Träume und Schönheit geworden.
Stattdessen hatte sie mit ihrem Plan, ihn hierher zu bringen, den Kriegern der Arkanta nicht nur die Chance gegeben, ihn zu töten, sondern damit auch noch einen weiteren Krieg heraufzubeschwören. Sie seufzte leise und wagte doch nicht, sich zu bewegen. So lange, wie sie bereits wartete, bestätigte sich für sie, dass ein Krieg unvermeidlich geworden wäre und einen weiteren Gegner konnte sich Fallacon im Augenblick nicht erlauben.
Es waren Rote Streiter gewesen, wenn auch die, der unangenehmsten und uneinsichtigsten Sorte – dennoch…
Ihre Sinne berührten Fallacon – jenes raue und spröde Land im Nordwesten der Welt. Es war ihre Heimat, die sie liebte und nie hatte es einen Grund gegeben, an ihrer Loyalität zu zweifeln.
Trotzdem hatte sie all das hier unvorbereitet getroffen.
In den vergangenen Tagen war etwas passiert, das sie sich niemals hätte vorstellen können. Sie war nicht die Heerführerin gewesen, nicht die Rote Harfe, nicht die Legendenweberin und nicht die Gefährtin des Roten – keiner dieser Titel hatte Bedeutung gehabt. Vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben war sie einfach nur Frau gewesen, ohne Titel, ohne Zwänge, ohne Verantwortung. Sie schloss die Augen und versuchte zu verstehen, was dies mit ihr machte, was es in ihrem Herzen berührte und in ihrem Verstand, als die Stimme des Sultans sie plötzlich erlöste.
„Es sei dem Lande Fallacon verziehen und es sei angemerkt, dass wir diese Entschuldigung nur
annehmen, da sie von der Gefährtin des Roten selbst ausgesprochen wurde.“ Ein Nadelstich traf sie glühend mitten ins Herz.
Langsam erhob sie sich und nickte dem Sultan zu.
„Das Land Fallacon ist voller Dank für diese Entscheidung. Ich werde alles Nötige veranlassen.“ Mit diesen Worten wandte sie sich ab und verließ, von zwei Dienern gefolgt, den Thronsaal. „Ich brauche einen Raben und etwas zu schreiben.“
Nachdem sie einen Brief aufgesetzt hatte mit Anweisungen, welche Summen in welcher Form und mit welchen Beigaben aus Fallacon nach Osarien gebracht werden sollten und diesen mit dem Raben in Richtung ihrer Heimat geschickt hatte, hastete sie eilig zum Südtor hinaus, wo sie ihre Stute angebunden hatte.
Es durfte keine weiteren Verzögerungen geben.
Hastig schwang sie sich in den Sattel und trieb ihr Pferd an, schnell und schneller durch den Wüstensand in Richtung Westen.
In ihr brannte Sorge gemischt mit Wut. Was, wenn er nicht bei den Höhlen war? Was.. wenn er tot war?
Sie kannte die Klingen der Arkanta. Sie waren nicht vergiftet – aber sie waren verflucht. Ihre Wunden waren schmerzlich und hörten nicht auf zu bluten. So konnten sie sicher sein, dass selbst ein fliehendes Opfer den Tod fand.
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Kapitel 8 – Wildes Blut
Am nächsten Morgen war Lauriel früh wach.
Tief in seinen Arm geschmiegt, hatte sie etwas Schlaf gefunden und die dunklen Bilder in ihren Gedanken für eine Weile fortgeschoben.
Nun stand die Sonne bereits leuchtend am Himmel und erfüllte die Oase mit dem Duft aufgehender Blüten und reifender Früchte.
Er war erwacht, als sie versuchte, sich aus seiner Umarmung zu schleichen, um ein einfaches Frühstück zuzubereiten und lächelnd hatte er sie dabei beobachtet bis er aufstand um zu ihr zu gehen und ihr zu helfen.
Schließlich sattelten sie die Pferde und packten ihre Habseligkeiten zusammen.
Alkanas schnallte seinen Speer mit der schimmernd grünen Spitze aus Drachenglas am Sattel fest und Lauriel dachte einmal mehr erleichtert daran, dass es eine weise Entscheidung war, ihren Speer nicht mit nach Osarien zu nehmen.
Als sie schließlich aufbrechen wollten, griff Alkanas nach ihr, um ihr in den Sattel zu helfen.
Lauriel lachte laut, tauchte unter seinem Arm weg und sprang in den Sattel, wie sie es gewohnt war. Er musterte sie einen Moment lang mit einem Schmunzeln auf den Lippen und stieg dann ebenfalls auf sein Pferd.
Langsam ritten sie aus der Oase hinaus und in die Wüste, die Pferde nebeneinander und die Hände ineinander verschlungen.
Doch dann löste er seine Berührung und sah sie an.
„Ich reite vor, Shadia. Ich muss noch etwas erledigen. Wir treffen uns am Abend am Südtor.“ Ehe Lauriel etwas erwidern konnte, zwinkerte er ihr noch einmal zu und preschte mit einem mal in Richtung Al’Bajaar davon.
Sie sah ihm nach und fühlte einen ungewohnten Schmerz.
Zu sehen, wie er langsam auf den Horizont zuritt und schließlich ganz verschwand, erinnerte sie schmerzlich daran, dass ihre gemeinsamen Tage hier nicht andauern würden. Sie dachte an den Abschied und allein der Gedanke daran, war nur schwer zu ertragen.
Sie wand sich um und blickte zur Oase zurück. Wehmütig wurde ihr bewusst, dass sie diesen Ort bald für immer verlassen würden und mit einem Mal fragte sie sich, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, mit ihm in die Stadt zu reiten.
Was, wenn jemand sie dort bei ihrem Namen oder einem ihrer Titel nannte, den auch er kannte? Was, wenn sie nie wieder in die Oase zurückkehren würden?
Doch dann musste sie lächeln.
Al’Bajaar war eine Stadt wie keine andere.
Alles war dort möglich und alles war käuflich, selbst Dinge, die es gar nicht geben sollte. Sie kannte die Stadt, besser als mancher Einwohner sie kannte und wusste, worauf man zu achten hatte. Dies bedeutete aber auch, dass viele dort wussten, wer sie war. Das hatte sie nicht bedacht, als sie das Fest vorgeschlagen hatte.
Langsam ließ sie sich von ihrem Pferd gleiten und begann in ihren Taschen zu wühlen.
Schließlich zog sie ein Gewand aus cremefarbener Seide heraus. Es war über und über mit Gold und Edelsteinen bestickt und glitzerte im Sonnenlicht.
Sie hatte das Kleid als Geschenk bekommen, als sie in Al’Bajaar gewesen war und eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, es jemals zu tragen, da ihr einfache Kleidung, in der sie gut reiten und kämpfen konnte, lieber war. Doch für den vor ihr liegenden Anlass, schien es genau das richtige zu sein. Schmunzelnd wechselte sie ihre Kleidung, legte die kostbare Seide an und zog einen Tiegel mit Farbe und einen winzigen Spiegel aus der anderen Tasche.
Dunkel umrahmte sie ihre Augen und nickte schließlich zufrieden. Zuletzt legte sie einen Schleier über ihr Haar und schließlich auch über ihr Gesicht, so dass nur ihre Augen sichtbar waren. In Al’Bajaar war es durchaus Brauch, dass die Frauen ihr Gesicht verschleierten, nur dass sie sich an diesen Brauch nie gehalten hatte, was sie sich auf Grund ihres Namens auch ohne weiteres erlauben konnte.
Hier und jetzt allerdings begrüßte sie diese alten Sitten und Gebräuche und setzte sich schließlich wieder auf ihr Pferd.
Ehe sie los ritt, betupfte sie noch rasch ihre Handgelenke und den Hals mit etwas Jasminöl und lachte leise. Wann hatte sie sich das letzte Mal auf diese Weise hergerichtet? Sie konnte sich nicht erinnern.
In Fallacon war dafür jedenfalls kein Platz.
Als sie ihr Pferd wieder antrieb, um in Richtung der Stadt zu reiten, lächelte sie zufrieden. Al’Bajaar würde in dieser Nacht in tausenden kleinen Flammen brennen. Eine der Töchter des Sultans sollte heiraten und die Stadt verwandelte sich zu solchen Anlässen in ein einziges, großes Fest, von den großen Plätzen bis hinab in die engsten Gassen.
Sie hatte es bereits erlebt, hatte die zahllosen Lichter gesehen und tausend und abertausend Blumen, die auf den Straßen verstreut lagen. Sie hatte den Duft von gutem Essen und dunklem Wein gerochen, der durch alle Straßen verströmt wurde, Tanz, Musik und all die liebenswerten, besonderen Bräuche, die diesen Ort ausmachten.
Ob er sie kannte?
Sie schüttelte kaum merklich den Kopf. Vermutlich würde sie ihm das ein oder andere erklären müssen.
‚Diese Nacht soll frei sein von Sorge und Schmerz, mein Sturmwolf – diese Nacht gehört nur uns und unseren Träumen unter dem Wüstenmond‘, dachte sie im Stillen für sich und trieb ihr Pferd zu einem rascheren Schritt, um so bald wie möglich die Stadt zu erreichen.
Alkanas war lange vor ihr in der Stadt und es dämmerte bereits.
Er hastete in das kleine Gasthaus hinter dem Basar nah des Tempels, wo er immer noch ein Zimmer hatte.
Die geschmückten Straßen mit ihren Lichtern und Laternen, waren ihm auf dem Weg hierher nur flüchtig aufgefallen. Überall waren Blumen und die ganze Stadt leuchtete bunt, wie ein Meer aus schimmernden Edelsteinen.
Er betrat die kleine Kammer und schloss leise die Tür. Ein Fest wie dieses hatte er noch nicht erlebt. Es war ihm fremd, so, wie auch die Menschen dieser Stadt mit ihren Traditionen, ihrer Kleidung und ihren Bräuchen.
Was trug man wohl zu so einem Anlass?
Er ging zum Fenster und beobachtete eine Weile das Treiben auf der Straße und die Menschen, die dort bereits feierten. Es fiel ihm auf, dass einige von ihnen mit Edelsteinen besetzte Masken trugen. Er grinste und wandte sich ab, um eine Truhe unter dem einfachen Bett hervorzuziehen.
„Ich werde wohl auffallen“, lachte er.
Als er sich fertig umgezogen hatte, trug er seine braunen Lederstiefel, eine einfache, braune Hose, die er, wie er es immer tat, mit grünen Bändern an den Beinen zusammenband, wie es bei ihm zuhause Brauch war. Dazu trug er ein schlichtes, dunkelgrünes Hemd und eine Weste aus Leder.
Festlicheres besaß er nicht.
Er warf sich ein Wolfsfell über die Schulter und steckte sein Jagdmesser in den rechten Stiefel, wie er es immer tat.
Zum Schluss nahm er eine Maske in die Hand und betrachtete sie. Es war die Schädelmaske, die er auch im Kampf trug, bemalt mit uralten Symbolen.
Er nickte, öffnete sein Haar und setzte die Maske auf, legte die bronzenen Armbänder an, welche ihm nach seiner zweiten Jagd geschenkt worden waren und dazu einen bronzenen Halsring.
Zufrieden grinste er und murmelte leise für sich:
„Dann zeigen wir ihnen mal, wie man im Sturmwald feiert.“
Laut lachend stieg er die schmale Treppe des Gasthauses hinab und trat auf die Straße. Einige Leute starrten ihn ungläubig an, andere wiederum schienen fasziniert von der Art seines Aussehens.
Ihm hingegen war das alles gleichgültig. Es zählte nur noch eines: Er musste zum Südtor. Rasch suchten seine Schritte den Weg auf die andere Seite des Basars, als ihm auffiel, dass ihm jemand folgte.
Er kannte sich in dieser Stadt nicht so gut aus, wie die Einheimischen, aber seine Instinkte funktionierten hier so gut wie überall.
Rasch lief er durch die bunt geschmückten Gassen, in denen es vor Menschen nur so wimmelte. Alkanas runzelte die Stirn. Das Treiben erinnerte ihn an einen Bienenstock und er begann sich zu fragen, ob es nicht besser gewesen wäre, mit Shadia in der Oase zu bleiben. Doch für Gedanken dieser Art blieb kein Raum, denn zuerst musste er seine Verfolger loswerden.
Zielsicher folgte er dem Weg genau auf die Tempelgärten zu, welche noch prächtiger erschienen, als in den Tagen zuvor. Goldenes Licht zahlloser Lampions brach sich in Edelsteinen und fing sich in zahllosen Blütenblättern, die kristallenen Fenster des Tempels wurden von innen heraus vom warmen Schein der Kerzen erleuchtet und alles wirkte freundlich und friedlich. Er wusste hingegen, dass es anders war.
Mittlerweile war er sich sicher, dass es zwei Männer waren, die ihm folgten und mit einigen raschen Schritten bog er in einen ruhigeren Teil der Gärten ein, in dem große Blumenbäume etwas Sichtschutz gewährten.
Nur wenige Augenblicke vergingen, da hatten seine Verfolger ihn auch schon erreicht. Alkanas sah mit schmalen Augen zu ihnen wie ein Tier, das auf den Kampf wartet, in der Hand das Jagdmesser, das er aus seinem Stiefel gezogen hatte.
‚Nutze deine Umgebung‘ hörte er sich selbst zu den jungen Jägern in seiner Heimat sprechen.
Die beiden Männer waren kleiner als er und dunkel gekleidet in die Tracht der Einheimischen. Ihre
Gesichter waren hinter Tüchern verborgen und in ihren Händen hielten sie Messer mit gebogenen Klingen. An der Form und Farbe ihrer Augen jedoch konnte man erkennen, dass sie nicht von hier waren und auch, was sie sich zuriefen, klang nicht nach der Sprache, die man in Osarien sprach. Langsam kamen sie auf ihn zu, als Alkanas auch schon sprang und unter dem Hieb des ersten hindurch tauchte. Der zweite Schlag traf ihn zwischen den Rippen, doch der Schmerz war erträglich. ‚Nur ein Kratzer‘, dachte er sich, sprang mit einer Drehung in der Luft und tauchte vor dem größeren der beiden Männer auf, packte seinen Kopf und drehte ihn mit aller Kraft zur Seite, bis ein lautes Knacken zu hören war und der Körper leblos aus seinen Händen glitt.
Der andere Angreifer ließ sich davon nicht beirren und setzte zum Sprung an. Alkanas wich rasch zur Seite aus, sah, dass er in eine Finte lief und spürte den Tritt, den sein Gegner ihm versetzte. Er strauchelte, verlor aber nicht das Gleichgewicht, wand sich um, griff nach seinem Gegner und rammte ihm mit einer fließenden Bewegung das Jagdmesser ins Auge. Im gleichen Moment spürte er aber auch die Klinge seines Gegenübers tief in seiner Flanke und fluchte leise.
Als der Mann leblos und mit blutüberströmtem Gesicht zusammensackte, griff Alkanas an seine Seite und zog die Klinge heraus um sie achtlos fallen zu lassen.
Er riss ein Stück Stoff aus seiner Tunika und presste es auf die Wunde, damit die Blutung aufhören würde. Dann schloss er die Weste darüber, dass man nicht sehen konnte, was ihm widerfahren war. Ohne einen Blick zurück, ging er wieder in die lichten Gärten und wusch an einem der Brunnen seine Hände und sein Gesicht sauber von Blut und Schmutz, dann machte er sich auf den Weg zum Südtor. Er hatte schon schlimmere Verletzungen überstanden und diese würden nicht den Abend zerstören, den Shadia sich gewünscht hatte.
Noch im Gehen griff er in seine Gürteltasche und zog ein Stück Wurzel heraus, auf dem er kaute und das ihm Kraft geben sollte. Mehr würde er nicht brauchen, da war er sich sicher.
Am Südtor angekommen suchte er nach ihr, was ihm nicht schwer fiel, da er die meisten Menschen in dieser Stadt um einen Kopf überragte.
Doch er konnte sie nirgendwo entdecken. Nur der leichte Geruch nach Jasmin verriet ihm, dass sie in der Nähe sein musste.
„Shadia?“, raunte er.
Dann musste er husten und wischte sich über den Mund. An seiner Hand sah er Blut.
Lauriel hatte das Südtor erreicht und hatte sich auf den Straßen umgesehen. Ihn konnte sie noch nicht entdecken, so beobachtete sie das Treiben der Menschen auf den Straßen. Alles war bunt und schillernd, die Stimmung ausgelassen und fröhlich. Aber wo war er? Sie glaubte ihn zu spüren, so schloss sie die Augen und begann sich an den Klang seiner Seele zu erinnern.
Langsam, ganz langsam blendete sie alle anderen Klänge rund um sich herum aus und lauschte nur noch diesem einen Lied, von dem ein Teil in ihrer eigenen Seele klang, seit sie die Blume von ihm erhalten hatte.
Diesem Klang folgend drehte sie sich um und als sie die Augen wieder öffnete, sah sie ihn, gelehnt an eine Säule und leicht gekrümmt.
In dem Lied seiner Seele stimmte etwas nicht.
Wie oft hatte sie dies bei ihren Kampfgefährten erlebt und wie oft hatte sie sie auf diese Weise geheilt? Jede Verletzung ließ Missklänge und Dissonanzen im Seelenlied eines Lebewesens erklingen und mit einem Mal spürte sie, wie nackte Angst sich in ihr Herz fraß.
Schnell lief sie zwischen den Leuten hindurch zu ihm.
„Was ist passiert?“
Er hob den Kopf und streckte sich, kaum, dass er ihre Stimme vernommen hatte. Er wischte sich rasch noch einmal über den Mund und hob beruhigend die Hand.
„Es ist alles gut – ich habe dich nur nicht gleich gefunden.“
Sie spürte die Lüge. Der Goldene selbst war es, der ihr die Gabe gegeben hatte, Lüge und Wahrheit voneinander zu unterscheiden und ihre Lippen pressten sich aufeinander. Warum war er nicht ehrlich zu ihr?
Alkanas hingegen musterte sie irritiert und nutzte die Gelegenheit, um das Thema zu wechseln.
„Warum verdeckst du dein Gesicht?“
Sie sah in seine Augen und schwieg eine Weile lang, spürend, wie der Glanz und die Freude, die sie erfüllt hatten mit jedem Augenblick schwanden und der Bereitschaft Platz machten, Handeln zu können, wenn es notwendig war.
Doch in diesem Augenblick, waren ihr die Hände gebunden.
Wenn sie ihm sagte, dass sie wusste, dass etwas mit ihm nicht stimmte, obgleich er das Gegenteil behauptete, würde er Fragen stellen, die sie ihm nicht beantworten wollte.
So schloss sie kurz die Augen und murmelte leise:
„Hier in Osarien ist es so Brauch. Eine Frau verhüllt ihr Antlitz, welches sie nur jenem Mann zeigt, der ihr Herz erobert hat. Es gilt als ein Beweis ihrer vollkommenen Liebe.“
Sie hatte den Blick gesenkt und versuchte, die Missklänge in seinem Seelenlied zu deuten. Er blutete – dessen war sie sich sicher, aber mehr konnte sie auf diese Weise nicht erspüren, nur eine eigenartige Dunkelheit, die ihr vertraut schien und doch völlig falsch in seinem Lied erklang. „Bist du sicher, dass es dir gut geht?“, sprach sie leise, fast vorsichtig, als sie seinem Blick wieder begegnete.
Innerlich fluchte sie.
Sie hatte ihm die Schönheit der rauschenden osarischen Feste zeigen wollen, eine Nacht unter den
Sternen Al’Bajaars, gehüllt in all die Bräche und Traditionen dieses Landes auf einem Fest, das an Schönheit und Ideenreichtum seinesgleichen suchte. Es hatte eine unvergessliche Nacht sein sollen in den wenigen Tagen und Nächten, die ihnen überhaupt blieben, gemessen an der Ewigkeit, die ihnen, getrennt voneinander, bevorstand. Das hätte ihr Geschenk an ihn sein sollen.
Doch nun standen sie hier und sie wünschte sich nichts mehr, als wieder mit ihm im warmen Sand der Oase zu liegen.
„Mach dir keine Sorgen, nyota yangu, es geht mir gut.“
Sie hörte, wie er versuchte, seine Stimme sorglos klingen zu lassen und biss sich auf die Lippe.
Warum tat er das?
Doch noch ehe sie den Gedanken zu Ende gedacht hatte, wurde ihr Blick von etwas abgelenkt, was sie augenblicklich in Alarmbereitschaft versetzte.
Männer in schlichter, schwarzer Kleidung mit Turban und verhülltem Gesicht, sowie einem silbernen Halbmond auf der Stirn, bewegten sich geschmeidig durch die Masse der Feiernden. An ihren Seiten blitzten Krummsäbel. Die Nashagar des Sultans.
Ihr Auftauchen verhieß nichts Gutes und bestätigte sie in der Ahnung, dass etwas Furchtbares geschehen sein musste.
Rasch sah sie zu ihm zurück und musterte ihn von oben bis unten.
Er hätte auffälliger nicht sein können. Ganz egal wonach die Nashagar suchten – er würde nicht lange verschont bleiben, allein auf Grund seiner Andersartigkeit, die in Osarien schnell als verdächtig galt, sobald etwas geschah, was sich gegen das Gesetz bewegte.
„Wir.. sollten die Stadt so schnell wie möglich verlassen.“
Sie sah zu ihm hoch und der Glanz der Vorfreude, die Unbefangenheit und die gespannte Erwartung – all das war aus ihrem Blick gewichen und hatte tiefer Sorge und Wachsamkeit Raum gemacht. „Bitte, lass uns gehen. Du bist hier nicht sicher.“ Es schien, als habe er ihr kaum zugehört.
Sie zog seinen Kopf zu sich, betrachtete die Maske, die ihr eine Gänsehaut über den Körper jagte, da sie ihn damit nur von den Schlachtfeldern kannte und mit vorsichtigen Bewegungen, nahm sie sie ihm ab. Tief sah sie in seine Augen, die sich zu engen Schlitzen geformt hatten. Er schwitzte, wirkte, wie ein in die Enge getriebenes Tier.
„Was hast du gesagt?“, murmelte er, versuchend, seine Stimme ruhig klingen zu lassen. „Ich sagte, dass wir gehen müssen – jetzt!“ Er sah sie an und lächelte müde. Dann nickte er.
„Ist gut, Shadia. Ich werde nur schnell ins Gasthaus gehen und ein paar Dinge holen, die ich brauche.“ Lauriel starrte ihn an, als habe er ihr ins Gesicht geschlagen und sie spürte mit einem mal das vertraute Gefühl von Wut und Ungeduld in sich aufsteigen.
„Nein!“
Ihre Stimme klang um einiges härter, als er es von ihr gewohnt war.
Überrascht hoben sich seine Brauen und er musterte sie fragend.
Lauriel drängte den Sturm aus Gefühlen mit aller Mühe zurück und sah ihn an, strich über seine Wange und brachte ihre Lippen dicht vor sein Ohr.
„Nicht weit hinter uns sind die Nashagar des Sultans und du fällst auf wie ein wilder Ork in Altenstern. Also bitte – bitte, mein Sturmwolf, geh nach Westen zu den Höhlen und warte da auf mich. Ich besorge alles, was wir brauchen, um dort die Nacht zu verbringen.“
Er sog tief ihren Duft ein und atmete eine Weile tief und so ruhig, wie es ihm möglich war.
„Warum kommst du nicht mit mir?“
Sie brachte ihr Gesicht nun vor das seine, nahm den Schleier ab und lächelte.
„Ich werde uns Essen, Wein und Decken besorgen. Dann reiten wir morgen in aller Ruhe zurück.“ Es war nicht gelogen, es war nur nicht die ganze Wahrheit.
Sie wusste, dass das, was immer geschehen war, bereits bis zum Sultan vorgedrungen war und darum würde sie sich kümmern müssen.
Sanft zog sie ihn mit sich bis zum Tor und drückte seine Hand. „Warte an den Höhlen. Ich bin so schnell bei dir, wie ich kann.“ Liebevoll sah er zu ihr hinab.
„Du bist wunderschön, Mwanga wa nyota. Wie könnte ich nicht auf dich warten.“ Sein ganzer Körper schmerzte und er verstand es nicht.
Unter anderen Umständen hätte er sich dagegen gewehrt, sie alleine hier zurück zu lassen, doch er wollte seine Wunden versorgen, damit sie keine Sorgen haben musste.
Sanft küsste er sie, dann stieg er auf sein Pferd und ritt in Richtung Westen, ohne sich noch einmal umzusehen.
Lauriels Blick folgte ihm so lange, bis die Dunkelheit, die längst über die Wüste gekommen war, ihn verschluckt hatte.
Dann leckte sie sich über ihre Lippen und schmeckte Blut. Sein Blut.
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Kapitel 7 - Ahnungen
Lauriels Herz setzte einen Schlag aus, nur um Sekunden später so schnell und stark gegen ihre Brust zu hämmern, dass man ihren Puls an den Adern ihres Halses sehen konnte.
Reflexartig legten sich ihre Hände gegen seine Brust, um ihn fortzudrücken, doch jeder Widerstand war nur Sandkorn in einem Sturm.
So hob sie schließlich ihre Hände in seinen Nacken und ließ ihre Finger tief in sein Haar tauchen, während sie den Kuss erwiderte, erst zögerlich, dann leidenschaftlich.
Tief in ihr hingegen tobte ein Sturm. Ein Riss zog sich tief durch ihre Seele und während die eine Hälfte von ihr in Flammen aufging, erstarrte die andere Hälfte zu Eis.
Sie wollte sich wehren, sich wegdrehen und fortlaufen, so weit fort, dass er ihr nicht mehr folgen und sie nicht mehr finden konnte, so weit, dass die Gefühle in ihr verblassten, als hätte es sie nie gegeben.
Doch sie blieb.
Der Widerstand in ihr, so zornig er auch war, hatte keine Macht über das, was ihr Herz gerade wollte.
Alkanas hatte sie fest in seinen Arm gezogen und jeder Muskel seines Körpers war angespannt. Kurz, nur einen winzigen Augenblick lang, löste er seine Lippen von ihren, um, ganz nah bei ihr, ihr Gesicht zu betrachten und kaum hatte er das Bild wirklich wahrgenommen, küsste er sie erneut. Einige Schritte hinter ihr stand eine Gruppe Palmen und mit wenigen Schritten waren sie dort und er drückte sie gegen einen der rauen Stämme.
Lauriel spürte seinen Atem, die Wildheit in jeder seiner Bewegungen, als seine Lippen begannen, ihren Hals hinabzuwandern und seine Hände über die Perlen-bestickte Seide ihres Kleides tasteten, um einen Verschluss zu finden.
Sie schloss die Augen, atmete tief durch und flüsterte schließlich: „Bitte..“
Alkanas hingegen hielt nicht einen Augenblick lang in seiner Bewegung inne, ob er ihr Flüstern nun gehört hatte oder nicht.
Lauriel kämpfte mit sich, einen Kampf, den sie so oder so nur verlieren konnte. „Tafadhali.. tafadhali usifanye..“ Eine Weile geschah nichts.
Sie regten sich beide nicht und so schnell ihrer beider Atem gerade eben noch ging, so schien es in diesem Moment doch eher so, als würde sogar die Zeit selbst ins Stocken geraten.
Langsam, ganz langsam ließ er die weiße Seide aus seinen Fingern gleiten und richtete sich wieder auf, um sie anzusehen.
In ihrem Blick brannte es nicht weniger als in seinem und doch schien er etwas darin zu finden, was ihn akzeptieren ließ, was sie wünschte.
„Du..“, er schluckte und rang offensichtlich nach Worten.
„Alkanas, bitte – ich..“
Er hob die Hand und schüttelte den Kopf.
„Du treibst mich in den Wahnsinn.“
Mit diesen Worten ließ er sie los, wandte sich ab und während er auf das nahe Wasser zuging, streifte er wortlos seine Kleidung vom Körper.
Lauriel starrte ihn an und sah zu, wie er, ohne zu zögern, im kühlen Wasser des Sees verschwand, untertauchte, einige Züge schwamm und sich ihr schließlich wieder zuwandte. „Was denn? Badet man da, wo du herkommst nicht? Komm schon.“ Sie verharrte am Ufer und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen.
Ihr Körper war nicht weniger in Aufruhr als ihr Innerstes. In ihrem Herzen brannte ein Gefühlschaos, das sie noch nie gefühlt hatte und er schien mit einer völlig unbeschwerten Leichtigkeit durch das Wasser des Sees zu schwimmen, als gäbe es das unendlich erscheinende Mühlrad des Schicksals nicht, welches hier, an diesem so unwirklichen Ort, auf ihnen lastete und sie zu ersticken drohte. „Jetzt komm ins Wasser, du wirst sehen, dass das gut tut.“
In seinen Zügen spiegelte sich etwas Jungenhaftes, Unverfälschtes und lebensfrohes, was sie mit unendlicher Wärme erfüllte.
Kurz sah sie an sich hinab und runzelte die Stirn, als ihr bewusst wurde, wie lange es her war, dass sie tatsächlich in einem See gebadet hatte.
Seit sie die Gefährtin des Roten Drachens wurde, hatte sich vieles in ihrem Leben geändert. Wo sie früher mit ihren Kampfgefährten in den See sprang, gab es heute für sie immer eine Möglichkeit, unbeobachtet zu baden, selbst im Heerlager.
Sie schmunzelte kurz, doch das Schmunzeln erlosch, als ihre Gedanken in die Heimat wanderten. Sie sah vor sich die Zeltstadt des Heerlagers, die Gefährten und Freunde, sie hörte das Lachen und die vertrauten Lieder.
Dort – nur dort war ihre Heimat, obgleich sie in Osarien geboren wurde.
Schmerzlich erinnerte sie sich an jenen Abend, als sie dem Roten Drachen das erste Mal begegnet war, ohne zu wissen, dass ER es war.
Er hatte ihr gegenüber am Lagerfeuer gesessen in der Gestalt eines Menschen, das Gesicht von der Kapuze seines Mantels bedeckt und so hatte er ihr einfach nur zugehört, wie sie ihre Lieder sang. Sie hatte vom ersten Moment an gespürt, dass etwas zwischen ihnen beiden war, was sie verband, jedoch hatte sie es sich nicht erklären können.
In den darauf folgenden Tagen, hatte er oft des Abends am Lagerfeuer gesessen und ihrem Gesang gelauscht und je näher er bei ihr saß, desto mehr hatte sie durch das Flackern des Feuers von dem Gesicht unter der Kapuze erahnen können.
Er hatte gelächelt, sie angesehen und in seinen Augen sah sie etwas Uraltes – Feuer und Sturm, Wärme und Kraft.
Ihr Lied war verklungen und wortlos hatten sie sich einfach nur angesehen.
Nach diesem Abend war er nicht mehr aufgetaucht und in ihr war bereits die Vermutung aufgekommen, dass er ihr aus dem Weg gehen wollte – doch einige Tage später wurde sie in einem unübersichtlichen Gefecht schwer verletzt und plötzlich war er bei ihr gewesen, hatte sie aufgehoben und zu ihrem Zelt gebracht.
Die leise Ahnung, das Gefühl, Drachenschwingen zu hören und einer Macht zu begegnen, die älter als die Welt erschien, hatte sich in dieser Nacht bewahrheitet, als er sich ihr zum ersten Mal zu erkennen gegeben hatte.
„Du sollst die Gefährtin an meiner Seite sein, das Lied in meinem Herzen und die Beschützerin meines Volkes – jetzt und für alle Zeiten.“
Seine Stimme hatte sich in ihr Herz gebrannt und in jener Nacht hatte sich alles für sie geändert.
„Shadia – hast du Angst vor Wasser?“
Das tiefe, ehrliche Lachen von Alkanas riss sie aus ihren Gedanken und sie schluckte.
Dann entledigte sie sich der zahlreichen Schichten bestickter Seide, bis sie nur noch ein kurzes, dünnes Unterkleid trug und beschloss, nach einigem Zögern, dieses anzubehalten.
Im Wasser angekommen, versuchte sie, immer etwas Abstand zwischen sich und ihm zu halten, während er genau das Gegenteil im Sinn zu haben schien.
So wurde aus dem Versuch, zu baden, eine wilde Jagd durch die tiefen des Sees in der Oase in Osarien und ihr Lachen hallte weit in die sandigen Hügel.
Die Sonne brannte längst vom Himmel, als sie Stunden später am Ufer lagen und sich schweigend ansahen. Alkanas hatte sich rasch wieder angekleidet, während Lauriel es sichtlich genoss, nicht in zahllose Schichten Seide eingewickelt zu sein. Er schmunzelte und schüttelte leicht den Kopf.
„Wovor hast du nur solche Angst?“
Lauriel antwortete ihm nicht. Sie sah ihn einfach nur an und ließ seine Stimme über sich hinweg streichen.
Eine Weile schien er noch auf eine Antwort zu warten, dann erhob er sich.
„Warte hier..“
Sie sah ihm nach, sah, wie er zu den Pferden ging, um in seinen Taschen etwas zu suchen und ein Lächeln spielte um ihre Lippen, während in ihren Augen die Dunkelheit der Sorge lag.
Als er zurückkehrte, war der Ausdruck in seinem Gesicht liebevoll und das jungenhafte war einer Mischung aus Ernst und tiefen Gefühlen gewichen.
„Hier..“, sagte er und legte sich wieder neben sie. In seiner Hand hielt er eine kleine Holzfigur, die einen Wolf mit buschigem Fell darstellte.
„Das habe ich auf der Reise nach Osarien geschnitzt – und jetzt gehört es dir.“
Es war ein Sturmwolf. Jeder, der einmal in seinem Leben einem Sturmwolf gegenüber gestanden hatte, hätte diese Figur sofort erkannt. Sie waren riesig, wild und kraftvoll und sie waren tödliche Gegner im Kampf.
„Er ist wunderschön..“
Sie sah zu ihm und hob ihre Hand um die Linien seines Gesichtes nachzuziehen.
„Er ist wie du..“
Er rutschte näher an sie heran und strich ihr die Haare aus der Stirn.
„Woher willst du das wissen? Du kennst den Sturmwald doch gar nicht, jangwa maua. Und nur dort wirst du sie finden.“
Er küsste ihre Stirn und Lauriel ließ es geschehen.
Trotz der Hitze der Wüstensonne, fühlten sich seine Nähe und die damit verbundene Wärme vertraut an und strahlte nichts anderes als Geborgenheit aus.
Was immer sie hier zusammen geführt hatte, musst eine Bedeutung haben, auch wenn sie nicht in der Lage war, diese zu erkennen.
Für Augenblicke schloss sie die Augen und ließ sich in dem Gefühl treiben, das sie erfüllte und tauchte in den Strudel aus Ahnungen und Bildern, der sie immer dann umgab, wenn sie es zuließ. So sehr sie jedoch suchte, so wenig wollte sich ihr erschließen, wie all das hier geschehen konnte und welchem Ziel es dienen mochte.
Etwas anderes wurde ihr allerdings bewusst, tauchte wie eine Warnung aus den Tiefen ihrer Seele hervor und obgleich es etwas war, was sie sich über alle Maßen wünschte, so war das Bild doch von Schmerz und von Trauer erfüllt.
Als sie schließlich sprach, war ihre Stimme dünn und brüchig.
„Der Tag wird kommen, an dem wir gemeinsam durch den Sturmwald gehen werden. Ich weiß nicht wann, Alkanas, ich weiß auch nicht wie, aber der Tag wird kommen, das verspreche ich dir.“ Er sah auf sie hinab und in seinen Augen blitzte eine Freude auf, von der sie wusste, dass sie niemals die Erfüllung finden würde, die sie ihm versprach.
„Ich kann warten, Shadia, umso mehr, da ich jetzt weiß, dass das, war uns hier verbindet, nicht enden wird, wenn ich diesen Ort verlassen muss.“
Ein Falke stieß seinen Ruf aus, während er seine Kreise über der Oase zog und für einen Moment stellten sich Alkanas Nackenhaare auf.
War es einer der Jagdfalken aus dem Sturmwald? Riefen sie bereits nach ihm?
Er sah zum Himmel hinauf und sie folgte seinem Blick.
Erst als der Vogel weiterflog, entspannte er sich wieder und sie sah tief Augen. „Du hast Sorge, dass man nach dir ruft?“ Sacht strich er über ihr Haar und nickte.
„Ja, Shadia. Mich erwarten Pflichten und ein ganzes Heer, das ich in einen Krieg führen muss, den ich so niemals wollte. Aber er ist da und ich bin es meinem Volk und meinem Drachen schuldig, diesen Krieg für uns zu entscheiden und das verfluchte Pack des Roten Drachen ein für alle Mal in seine Schranken zu weisen.“
Lauriel schluckte bei seinen Worten und wandte den Blick ab, was er in diesem Moment aber nicht bemerkte, da er viel zu tief in seinen Gedanken über den Krieg gefangen war.
„Du hast keine Vorstellungen davon, zu was sie fähig sind, Shadia. Sie haben Nekromantie angewandt, was gegen alles Leben und gegen den Kreislauf spricht und der Rote Drache hat die Legendenweber, die allen Drachen zur Treue verpflichtet sind, auf seine Seite ziehen lassen. Auf diese Weise verfügen sie über Mächte, die du dir gar nicht vorstellen kannst.“ Er schnaubte, während seine Stimme immer hitziger wurde.
„Aber wir haben auch Waffen – besonders eine. Denn der Grüne schickte uns Dargass und die Fangweis – das wird das Ende aller Legendenweber sein in diesem Krieg und nichts anderes haben sie verdient.“
Sein Blick wandte sich ihr wieder zu, als er aus seinen Gedanken zurückkehrte und traf auf tiefes Entsetzen und Schmerz in ihrem Blick, als sie ihn anstarrte, als habe er gerade ausgeholt und sie mitten ins Gesicht geschlagen.
Sofort wurde seine Stimme wieder ruhig und sanft und er strich liebevoll über ihre Wange. „Verzeih, ich wollte dich nicht mit Geschichten über den Krieg ängstigen. Sei froh, dass du damit nichts zu tun hast, Shadia. Sei froh, dass du deine Musik und deine Geschichten hast und nichts über die Grausamkeit dieser Dinge weißt. Und jetzt lass uns die dunklen Gedanken vertreiben.“
Doch Lauriel fühlte, wie etwas ihr die Kehle zuschnürte.
Mit wenigen Worten hatte er sie in die Wirklichkeit zurückgestoßen. Er war ihr Feind – und sie war seine Feindin. Die Waffe an seiner Seite – Dargass – ein Mann, dessen Grausamkeit ihre Träume heimsuchte und dessen Erwähnung ihr einen eisigen Schauer über den Rücken jagte, all das zerriss den Schleier des Traums, den sie hier lebten, solange man sie ließ.
„Shadia..“, raunte er leise und tief „was muss ich tun, um die Gedanken fortzujagen?“ Sie sah ihn an und hätte ihm am liebsten ins Gesicht geschleudert, dass nichts diese Gedanken verjagen konnte.
Doch in dem Moment küsste er sie und mit der Berührung seiner Lippen war jegliche Vernunft verflogen.
Als er sie wieder zu Atem kommen ließ, lächelte sie leicht ehe sie leise zu ihm sagte: „Morgen möchte ich mit dir nach Al’Bajaar gehen.“ Alkanas runzelte die Stirn.
„Was willst du in der Stadt?“
„Es wird dort ein Fest gefeiert und glaub mir – wenn der Sultan feiert, dann lohnt es sich, dort zu sein.“
Sie sah in die hellen Augen, die sie halb fragend, halb unwillig betrachteten. Sie sah ihm an, dass er gerne einfach mit ihr allein gewesen wäre, dass er ihr den Wunsch aber auch nicht abschlagen wollte.
Wieder lächelte sie.
„Vertrau mir. So etwas hast du noch nicht erlebt.“ Er hob schließlich die Schultern und lachte.
„Wenn es dich glücklich macht, können wir gerne nach Al’Bajaar reisen, aber..“ Seine Stimme brach ab und ein Schatten huschte über sein Gesicht.
„Aber was?“, fragte sie, plötzlich ernst geworden.
Er schüttelte den Kopf und suchte offenbar nach den richtigen Worten.
„Wir.. kehren anschließend.. wieder hierher zurück?“
Lauriel sah ihn an und Wärme breitete sich in ihrem Herzen aus, als sie verstand, dass er Sorge hatte, dass sie mit dem Besuch in der Stadt den Abschied herbeiführen würde.
Tief sah sie ihm in die Augen und nickte.
„Wir kehren hierher zurück. Der Tag des Abschieds wird kommen, mein Sturmwolf, aber der morgige Tag wird es nicht sein.“
Er schmunzelte, als sie ihn so nannte und sie grinste leicht. Dann war sie mit einem Satz auf den Füßen, so dass er das Gleichgewicht verlor und nach hinten kippte. „Ich weiß ja nicht wie es dir geht, aber ich habe Hunger, großer Jäger.“ Er lachte laut und tief.
„Ich bin sicher, dagegen lässt sich etwas machen.“